Gelsenkirchen. Mit seinem Jugendamtskandal hat Gelsenkirchen landauf landab im Jahr 2015 auf sich aufmerksam gemacht. Damals hatte Oberbürgermeister Frank Baranowski recht früh in einem Interview mit dem WDR gesagt, er sei sehr erstaunt, wie die Betroffenen vorgegangen seien, nämlich offenbar nach dem Prinzip „Tricksen, Täuschen, Tarnen“. Dieser Ausspruch von ihm könnte jetzt wieder aus der Kiste geholt werden, wenn es um die Darstellung der Lage rund um Corona angesichts der Bewertung der neuen Grenzwerte in der Stadt innerhalb weniger Tage geht.
Vergleicht man nämlich die Zahlen des RKI der vergangenen Woche mit den Angaben der Stadt Gelsenkirchen ergibt sich die ein oder andere Diskrepanz. Mit Rückblick auf die jüngere Geschichte ist insoweit Vorsicht geboten.
Tricksen, Täuschen, Tarnen bei der Stadt Gelsenkirchen – Gesundheitsamt?
Die Stadt selbst gibt in einer Pressemitteilung (PM) vom 08. Mai 2020, 19:00 Uhr | Stadt Gelsenkirchen eine entspannte Lage an.
„Die Zahl der Neuinfektionen pro Woche, die künftig beobachtet werden soll, um frühzeitig eine mögliche Verschärfung der Lage zu erkennen, liegt aktuell in Gelsenkirchen bei 6 Fällen pro 100.000 Einwohnern.“
Angesichts der Tatsache, dass die Zahl mit Blick auf den Grenzwert 50 je 100.000 Einwohner (EW) am 06.05.20 seitens des RKI für Gelsenkirchen (GE) noch 3,8 war, ist die Behauptung der Stadt GE in der PM seitens Gesundheitsamtschef Klaus Mika mit Blick auf die 6 doch sehr bemerkenswert, um nicht zu sagen täuschend interpretiert:
„Wir müssen wirklich sagen, wir sind schon etwas erstaunt, dass das Infektionsgeschehen im Moment nicht nur nicht zugenommen hat, sondern sich so entspannt zeigt, wie schon lange nicht mehr“, so die Bilanz des Mediziners.“
Angesichts der Tatsache, dass der 06.05. in die Woche mit dem 08.05.20 fällt, kann man noch nicht von einem gezielten tricksenden Untertreiben der städtischen Verantwortlichen sprechen, das zum Beispiel vorläge, wenn die Stadt die Zahlen verspätet in die nächste Woche meldet. Ein wenig getäuscht fühlt sich der aufmerksame Beobachter aber schon.
Wenn die Zahlen zunehmen, kann man nicht davon sprechen, sie hätten „nicht nur nicht zugenommen“. Und wenn die Tendenz der Infektionen im Steigen begriffen ist – von 3,8 auf 6 innerhalb von 2 Tagen – sollte man nicht sagen, das Infektionsgeschehen zeige sich „so entspannt“, „wie schon lange nicht mehr“. Die Denklogik sagt hier eindeutig das Gegenteil. „Reflexivität und Verschiebung“, „Macht und Möglichkeit“ und „Alles sagen“ – nicht Lügen mit Zahlen – sind in diesen Tagen mehr denn je aufmerksam zu beobachten.
Der Umgang mit Zahlen und die Kritik an ihrer Interpretation
Und so zeigt sich beim Umgang der städtischen Verantwortlichen mit den Zahlen und ihrer Interpretation etwas, wovor Ranga Yogeshwar bei Illner in dieser Woche gemahnt hatte, als er sagte, er vermute, dass die kommunalen Vertreter, ähnlich wie bei der Feinstaub-Thematik Mittel und Wege finden werden das Geschehen auf ihre Weise zu interpretieren, um damit die Bedeutung der Grenzwerte herunterzuspielen. Kanzleramtschef Braun warnte, den Grenzwert ernst zu nehmen. Die Kommunen würden sich sonst selbst schaden.
Das Fazit von Braun, wer schummelt, schadet sich selbst, lässt sich jetzt am Modell der Stadt Gelsenkirchen in der Praxis deutlich erkennen. Ein kleiner Imageschaden ist angesichts der jüngst skizzierten Vergangenheit bereits jetzt schon nicht mehr wegzudenken.
Da nützt es auch wenig, dass das RKI für Gelsenkirchen auch am Sonntag, 10.05.20 noch einen geringeren Wert als 6 – nämlich 5,0 – ausweist. Das lässt den Verdacht, es werde wieder – wie beim Feinstaub (Yogeshwar) – getrickst, getäuscht und getarnt nicht weniger gering ausfallen.
Nach dem alten Revier-Grundsatz „Bis dat, qui cito dat“ sollten die Verantwortlichen allerorten eine frühzeitige, geschönte Interpretation der Zahlen sein lassen. Das schadet am Ende nur. Da gebe ich Kanzleramtschef Braun zu 100 % recht.
Aktuelle Lagebeurteilung durch das RKI
Mit Datum vom 09.05.20 meldet das RKI in seinem Tagesbericht mit warnendem Unterton Folgendes:
„Mit Datenstand 09.05.2020 0:00 Uhr wird die Reproduktionszahl auf R= 1,10 (95%-Prädiktionsintervall: 0,90-1,34) geschätzt. Aufgrund der statistischen Schwankungen, die durch die insgesamt niedrigeren Zahlen verstärkt werden, kann somit noch nicht bewertet werden, ob sich der während der letzten Wochen sinkende Trend der Neuinfektionen weiter fortsetzt oder es zu einem Wiederanstieg der Fallzahlen kommt. Der Anstieg des geschätzten R-Wertes macht es erforderlich, die Entwicklung in den nächsten Tagen sehr aufmerksam zu beobachten.“ S. 8
Fazit
Von Entspannung, die das Gesundheitsamt Gelsenkirchen ausmachen wollte, kann so oder so nicht im Ansatz die Rede sein. Sie ist nur ein Trugbild.
—
Anhang
Vergleich der RKI-Grenzwerte für GE vom 06.05. und 10.05.20.
RKI-Zahlen für Stadt Gelsenkirchen
Fälle letzte 7 Tage/100.000 EW 5,0
Aktualisierung 10.05.2020, 00:00 Uhr
—
Gelsenkirchen Kreisfreie Stadt –
FB-Post vom 08.05.20
Fälle 353
Fälle/100.000 EW 135,4
Fälle letzte 7 Tage/100.000 EW
4,6
Todesfälle 12
Einwohnerzahl 260.654
Aktualisierung 08.05.2020, 00:00 Uhr
Gelsenkirchen Kreisfreie Stadt – FB-Post vom
06.05.20
Fälle letzte 7 Tage/100.000 EW 3,8
Aktualisierung 06.05.2020, 00:00 Uhr
—
Nachgang